Mit der rasch fortschreitenden Entwicklung und Etablierung der LED-Technologie als Alternative zu herkömmlichen Leuchtmitteln und dem stufenweisen Verbot von Glühbirnen in der EU seit dem Jahr 2009 befindet sich die Lichtindustrie in einer Phase des technologischen Umbruchs und der inhaltlichen Neuorientierung. Zugleich haben Debatten um Klimawandel und Lichtverschmutzung weltweit zu einem Nachdenken über den Einsatz von Licht geführt. Durch diese neuen Entwicklungen gewinnen Begriffe wie Energieeffizienz und Nachhaltigkeit nun eine konkrete Dimension. In ästhetischen Bereichen bietet die LED-Technologie verfeinerte Möglichkeiten bei der Farbgestaltung, Lichtführung, Lichtregulierung und bei der Bespielung mittels Steuerungssystemen.

 

Wie wird dieses sich neu eröffnende Potential zur Zeit genutzt?

Die LED-Technologie bietet die Möglichkeit, konventionelle Leuchtmittel zu ersetzen,
jedoch können ihre Qualitäten wie Effektivität und präzise Lichtführung in diesem Bereich nicht immer optimal genutzt werden. Anders ist die Situation bei der Entwicklung neuer Lichtsysteme und Leuchten, bei denen diese Qualitäten von LED gezielt zum Einsatz kommen. Parallel zur Entwicklung der Technologie verändern sich die Beleuchtungskon-
zepte. So werden beispielsweise gesamte Häuserfassaden mit LED-Lichtpunkten bestückt und fungieren als Werbeflächen oder visuelle Attraktionen im nächtlichen Stadtbild. Namhafte Architekten im Verein mit potenten Auftraggebern nutzen das scheinbar unend-
liche Spektrum an Formen und Farben – vom Text bis hin zum Film – für spektakuläre Bespielungen ihrer Bauten. Mit dieser Fokussierung auf schnelle visuelle Effekte wird zwar ein Aspekt der ästhetischen Möglichkeiten der neuen Technologie genutzt, das Potenzial für Energieeffizienz hingegen konterkariert und das Problem der Lichtverschmutzung, die mit nicht zu vernachlässigendem Schaden für Mensch und Natur die Nacht zum Tag verwandelt, weitestgehend ignoriert.

 

Langsames Licht schafft ein neues Bewusstsein für Licht

Das Konzept Langsames Licht / Slow Light verfolgt das Ziel, eine Alternative zu etablieren zu diesem Trend in Richtung spektakulärer und aggressiver Nutzung und demgegenüber einen bewussten und sensiblen Umgang mit Licht im Außen- wie im Innenraum zu fördern. Die technischen Vorteile werden in nachhaltiger Weise gezielt eingesetzt und zugleich werden neue ästhetische Formen entwickelt, die gerade durch ein Weniger an Licht die besonderen Qualitäten dieses immateriellen, nur über das Beleuchtete wahrnehmbaren Mediums erkennbar machen. Dadurch wird ein Umdenken in Bezug auf die Bedeutung und die Wirkung von Licht im alltäglichen Leben initiiert, woraus sich ein neues Bewusstsein für Licht entwickeln kann.

 

Richtlinien

Langsames Licht ist nicht nur ein Statement und eine Philosophie, sondern verfolgt konkrete Richtlinien:

  • Energieeffizienz und Nachhaltigkeit
  • gezielter und umweltschonender Einsatz von Licht; im Außenraum unter Berück-
    sichtigung von Naturschutzkriterien
  • bewusster und sensibler Umgang mit Licht nach ästhetischen Kriterien, die bei Bedarf auch die Verwendung von herkömmlichen Leuchtmitteln vorsehen
  • Einbeziehung von Erfahrungen aus der künstlerischen Praxis bezüglich der emotio-
    nalen und physischen Wahrnehmung von Licht und Raum
  • Berücksichtigung neuester medizinischer und neurophysiologischer Erkenntnisse über die Wirkung von Licht
  • Anpassung an spezifische Rahmenbedingungen vor Ort sowie Verarbeitung inhalt-
    licher Spezifika des jeweiligen Settings
  • mehr Flexibilität durch Weiterentwicklung und Feinabstimmung von Licht- und Steuerungssystemen
  • Zusammenarbeit mit regionalen Lichtproduzenten

 

Ausgangsüberlegungen, Kontext und Konzept (von Siegrun Appelt)

Als Künstlerin setze ich mich seit rund 15 Jahren mit Fragestellungen rund um das Wechsel-
verhältnis von Wahrnehmung und technischer Entwicklung auseinander bzw. mit Unter-
suchungen, wie neue Technologien unsere Wahrnehmung und unseren Alltag verändern und in welcher Form sie sinnvoll eingesetzt werden können.
In den letzten Jahren lag einer meiner Schwerpunkte auf der Arbeit mit Licht. Es entstanden zahlreiche Projekte in Zusammenarbeit mit Museen (wie mit dem Museum moderner Kunst Wien) und anderen Institutionen (Deutschland Pavillon während der Architektur Biennale Venedig 2008, ISEA 2010 und anderen). Informationen zu den einzelnen Projekten sind auf der Homepage www.siegrunappelt.com zu finden.

Mit dem umfangreich angelegten Konzept Langsames Licht / Slow Light geht es mir als Künstlerin um eine Fortführung meiner formal-ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von natürlichem und künstlichem Licht und dessen Wirkung auf die Wahr-
nehmung des Menschen. Noch stärker als in bisherigen Projekten versuche ich künstlerische Überlegungen mit wissenschaftlichen Untersuchungen, gesellschaftlichen Problemstellungen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu verbinden.
Ziel ist, meine künstlerischen Ansätze in einen angewandten Kontext zu übertragen und eine vermittelnde, gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit von/zwischen Forschungs-
institutionen, Politik, Kunst und Wirtschaft zu erreichen, aus der ein positiver Einfluss auf aktuelle Entwicklungen im Umgang mit (v.a. künstlichem) Licht und seiner Verwendung erwächst. Das Potenzial von (sowohl künstlichem als auch natürlichem) Licht zur Erzeugung von emotional stimmigen Räumen soll aus verschiedenen Blickwinkeln durchleuchtet und in weiterer Folge optimal umgesetzt werden. Mit den Erkenntnissen, die sich aus dieser Aus-
einandersetzung mit Licht, Raum und Mensch ergeben, möchte ich mehr Bewusstsein für aktuelle Beleuchtungssituationen schaffen und zugleich Alternativen zu bestehenden Ansätzen aufzeigen. Ähnlich wie es z.B. in der Essenskultur anhand verschiedener Initiativen wie in den Anfängen von Slow Food stattgefunden hat, ist es notwendig, im Zuge der konti-
nuierlichen Innovationen im Beleuchtungssektor grundlegende Überlegungen anzustellen und ein Bewusstsein über das Wechselspiel von Dunkelheit und Licht sowie über die Raum definierende Wirkung von Licht jenseits spektakulärer Beleuchtungsszenerien zu fördern. Dafür ist es notwendig, die neuen Technologien zu verstehen, um sie entsprechend anwenden bzw. adaptieren zu können.

Zentraler Bestandteil des Projekts ist somit auch ein intensiver Austausch mit unterschied-
lichsten Spezialisten, die wichtige Informationen, Forschungsergebnisse und gedankliche Impulse für eine theoretisch-diskursive, aber auch praktische Annäherung an das Thema beitragen. Neben der Veröffentlichung der Text- und Gesprächsbeiträge von Architekten (wie Peter Zumthor), Wissenschaftlern (wie Anna Wirz, Chronobiologie) und Architektur-
theoretikerin (wie Sigrid Hauser) und vielen anderen auf der Homepage Langsames Licht / Slow Light sind eine Tagung bzw. eine Publikation geplant, die den vermittelnden und interdisziplinären Ansatz des ganzen Projekts wiedergeben/verdeutlichen.