Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht…“, so übersetzt Luther den Anfang der Genesis (1. Moses, Kap. 1, Verse 3 bis 5).

Das ist wahrlich ein bemerkenswerter Anfang der biblischen Schöpfungs­geschichte. Die Erschaffung des Lichtes, so die Aussage der Genesis, ist nur ein erster Schritt. Erst durch die Trennung von Licht und Finsternis entstehen Tag und Nacht, entsteht ZEIT. Das Halbdunkel oder die immerwährende Dämmerung ist zeitlos. Das Licht muss von der Finsternis geschieden werden, um als solches erkannt zu werden, so wie das Gute den Kontrast zum Bösen, das Bewusste denjenigen zum Unbewussten und das Wissen denjenigen zum Unwissen benötigt. Die heutige Psychologie würde sagen, ohne Dunkel kein Licht.

Doch die Trennung von Licht und Dunkel hat ihren Preis. Wenn nicht mehr mit der Finsternis vermischt, muss das Licht die Welt mit der Finsternis teilen, zeitlich und räumlich. Dies beschert uns den Wechsel zwischen Licht und Dunkel, zwischen Tag und Nacht. Er hat dem Menschen das Bewusstsein einer zeitlichen Struktur und damit auch das Wissen um die eigene Endlichkeit gegeben: Der periodische Wechsel zwischen Tag und Nacht bildet das Urmass der Zeit, ein Mass, das der Mensch zu erfassen imstande, war lange bevor es Uhren gab.

Tag und Nacht sind vorerst zwei Teile eines grösseren Ganzen, das– wie die Menschen vor Kopernikus glaubten – einem vollständigen Umlauf der Sonne um die Erde bzw. – wie wir heute wissen – einer vollständigen Drehung der Erde um sich selbst entspricht. Heute bezeichnen wir diesen Zyklus von 24 Stunden als Tag (ein Tag), brauchen aber gleichzeitig dieses Wort immer noch für den hellen Teil des Zyklus (‚es ist Tag‘), was von der verständlichen Präferenz des Menschen (des Lebens überhaupt) für das Licht zeugt. Ohne Licht kein Leben, kein Pflanzenwachstum durch Photosynthese[1].

Geht es um Wachstum, so spielte neben dem Zeitmass des Tages für den Menschen spätestens seit der Entwicklung der Agrargesellschaft für das eigene Überleben noch ein anderes Zeitmass eine entscheidende Rolle, das Jahr bzw. die Jahreszeiten. Mit dem Beginn der Landwirtschaft tauchen in den meisten Kulturen Bauwerke und andere Artefakte auf, welche dem Menschen helfen sollten, den Ablauf der Jahreszeiten zu erkennen.

(Am Rande sei bemerkt, dass auch die weitere Einteilung des Tages (zum Beispiel in Stunden) für die gesellschaftliche Organisation wohl schon früh eine Rolle gespielt haben muss, nicht aber die Schaffung der Minuten und Sekunden. Diese ist ein Produkt der Neuzeit und steht in einem engen Verhältnis zur Seefahrt und zur Navigation sowie zur Konstruktion von präzisen Uhren.)

Im 17. Jahrhundert hat Christian Huygens erstmals postuliert, das Licht sei eine Art Welle. Damit entstand eine weitere Verbindung zwischen Licht und Zeit. Eine Welle wird durch Wellenlänge und Frequenz beschrieben, wobei das Produkt der beiden Grössen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Welle ergibt. Allerdings dauerte es weitere zweihundert Jahre, bis die Natur dieser Welle klar wurde: Licht ist eine elektromagnetische Welle und damit Teil eines viel allgemeineren physikalischen Phänomens, unter das zum Beispiel auch Radiowellen oder Röntgenstrahlen fallen. Das für das menschliche Auge sichtbare Licht mit typischen Wellenlängen von weniger als ein Tausendstel Millimeter und Frequenzen von ungefähr tausend Billionen (tausend Millionen Millionen) Schwingungen pro Sekunde umfasst nur einen winzigen Bereich des elektromagnetischen Wellenspektrums.

Die Tatsache, dass eine elektromagnetische Welle sich im Vakuum mit einer konstanten Geschwindigkeit fortpflanzt und diese Geschwindigkeit durch kein physikalisches Phänomen überschritten werden kann, gehört zu den Grundpfeilern der modernen Physik.[2]


Licht und Energie

Jede elektromagnetische Welle ist eine Art Vehikel für Energie. Das gilt auch für das Licht. Der Ursprung des auf die Erde fallenden Lichtes ist die Sonne. Diese strahlt nicht nur im sichtbaren Bereich des Wellenspektrums, also in jenen Wellenlängen, welche unser Auge erkennen kann, sondern auch im Bereich kürzerer (Ultraviolett) und längerer Wellen (Infrarot). Tatsächlich aber bringt das sichtbare Licht den grössten Energieanteil mit sich, was natürlich kein Zufall ist, sondern ein Produkt der Evolution, welche sinnigerweise das für unsere Netzhaut für jenen Wellenbereich sensitiv gemacht hat, in dem das grösste Energieangebot existiert.

Licht ist Energie: Dieses Prinzip bildet einen der Grundpfeiler der evolutiven Entwicklung des Lebens. Mit dem Prozess der Photosynthese haben die Pflanzen eine chemische Methode entwickelt, mit der sie die Energie des Sonnenlichtes speichern und später für den eigenen Gebrauch nutzen können. Diese Fähigkeit haben weder Tier noch Mensch; diese haben einen Trick gefunden, wie sie die solare Energiequelle indirekt nutzen können, nämlich indem sie Pflanzen oder andere Tiere fressen und damit in den Genuss der gespeicherten Sonnenenergie kommen. Man nennt diese Organismen heterotroph (‚.andere Nährstoffe nutzend‘), im Gegensatz zu den Pflanzen, die autotroph (‚die eigenen Nährstoffe nutzend‘) heissen.

Der Mensch ist ein heterotropher Organismus. Er benötigt für seine physiologischen Prozesse, d.h. um seinen ‚Betrieb‘ aufrechtzuhalten, pro Tag rund 10 Millionen Joule (bzw. rund 2,4 Kilowattstunden), was einem durchschnittlichen Energiebedarf pro Zeit bzw. einem Leistungsbedarf von 100 Watt entspricht.

Der Mensch als durch eine externe Energie angetriebene ‚Maschine‘ benötigt also ungefähr gleichviel Energie wie eine 100 Watt Glühbirne, welche permanent brennt. Und das war im Wesentlichen so bis vor ungefähr 200 Jahren, als der Mensch begann, im grossen Stil fossile Energieressourcen zu nutzen, zuerst Kohle, dann Erdöl und Erdgas, also jene Energiereserven, die im Laufe von Jahrmillionen durch die Photosynthese von Pflanzen akkumuliert worden sind. Oder anders gesagt: Die heterotrophe biologische Spezies homo sapiens begann in den letzten zwei Jahrhunderten ihren Energiebedarf – über ihre physiologischen Bedürfnisse hinaus – stetig auszuweiten bis zu einem Betrag, der heute im weltweiten Durchschnitt mehr als 2‘000 Watt pro Person beträgt, also das Zwanzigfache der Energie, die der Mensch in Form von Nahrung aufnimmt. In den industrialisierten Ländern beträgt der durchschnittliche zivilisatorische Energiebedarf 5‘000 bis 10‘000 Watt pro Person, und einzelne unter uns (zum Beispiel die Vielflieger) beanspruchen 100‘000 Watt und mehr.

Tatsächlich stützt sich der zivilisatorische Energiebedarf bis auf quantitativ unbedeutende Ausnahmen, wozu die Kernenergie gehört, auf die Nutzung jetziger oder vergangener Sonnenenergie. Das Licht der Sonne ist somit Grundlage nicht nur des biologischen, sondern auch des zivilisatorisch-technischen Energiebedarfs.


Das Gebot der Natur: Langsames Licht

Das Licht stellt für das globale Ökosystem die externe Energiezufuhr dar, so wie der elektrische Strom aus der Steckdose den Betrieb einer Waschmaschine oder eines Computers ermöglicht. Die Natur hat dabei im Laufe der Evolution in gewissem Sinne gelernt, die Grenzen dieses Energiestromes zu respektieren und sich darauf auszurichten, so wie wir gelernt haben, an eine Steckdose nur so viele Verbraucher anzuschliessen, dass die strombegrenzende Sicherung nicht durchbrennt. Anders gesagt: Der Strom des Sonnenlichtes hat das Tempo des Lebens seit Millionen von Jahren vorgegeben. Langsames Licht, verstanden als das an den natürlichen Energiefluss von der Sonne angepasste Leben – steht damit im Gegensatz zum schnellen Licht der heutigen Zivilisation, welche auf das angesparte Sonnenlicht (die fossilen Brennstoffe) zurückgreift und damit gleichsam die Funktion der Stromsicherung ausschaltet.

Wie äussert sich diese Schnelligkeit konkret? – Zum Beispiel darin, dass wir heute in der Lage sind, uns dank moderner Verkehrsmittel, insbesondere des Flugzeugs, mit Geschwindigkeiten und über Distanzen fortzubewegen, welche weit über unsere natürlichen physiologischen Möglichkeiten gehen. Zum Beispiel verbraucht ein Grossraumflugzeug, das die Reiseflughöhe erreicht hat, rund 10‘000 Liter Kerosin pro Stunde, was einem Leistungsverbrauch von 100 Megawatt bzw. auf 300 Personen umgerechnet von rund 300 Kilowatt pro Person, dem 3000-fachen unseres physiologischen Leistungsbedarfs, entspricht. Bezogen auf die über den Zeitraum von 24 Stunden gemittelte Leistung der Sonneneinstrahlung in unseren Breitengraden würde der Jumbo eine Energiebezugsfläche von nahezu einem Quadratkilometer benötigen. Für die effektiv nutzbare Solarenergie via Solarzellen wäre die benötigte Fläche sogar noch rund zehnmal grösser.

Natürlich kennt auch die Natur grosse Leistungen, z.B. wenn ein Gepard zu einem Spurt ansetzt, doch im Gegensatz zur Technik können solche Spitzenleistungen nur kurzzeitig genutzt werden; zudem basieren sie auf den natürlichen ökologischen Energieflüssen.

Halten wir also fest: Im leeren Raum pflanzt sich Licht mit einer konstanten Geschwindigkeit von rund 300‘000 km pro Sekunde fort. Insofern Licht überhaupt über grössere Distanzen Materie durchdringen kann, wird die Lichtausbreitung durch die Materie zwar etwas verlangsamt, aber dennoch ist klar, dass mit dem Begriff langsames Licht etwas anderes als die Fortpflanzungs-geschwindig-keit von Licht gemeint ist.

Auf der Suche nach dem langsamen Licht haben wir zwei mögliche Verbindungen identifiziert. Die erste bezieht sich auf den zeitlichen Tages- und Jahresrhythmus, welcher durch die Erddrehung und die Geometrie der Erd- und Sonnenbahn entsteht und unserem Leben, dem Leben überhaupt, seit je her einen charakteristischen Stempel aufgedrückt hat. Langsames – im Gegensatz zu schnellem – Licht würde heissen, dass wir diesem natürlichen Rhythmus nicht entgegen leben, wie wir das dank der modernen Technik im Prinzip tun könnten und auch ausgiebig tun.

Zweitens stellt das Sonnenlicht jene Energiequelle dar, welche das Leben in Gang setzt und in Gang hält. So wie wir das natürliche Zeitmass des Tages (und der Jahreszeiten) im Prinzip durch die Technik überwinden könnten, wäre und ist es dem Menschen möglich, sich von den Grenzen des natürlichen solaren Energie (bzw. Licht-)stromes unabhängig zu machen, zumindest für einen begrenzten Zeitraum. Langsames Licht steht daher als Symbol für eine Rückbesinnung auf die natürlichen Grenzen von Licht und Energie.


[1] Erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckten Meeresforscher in der Tiefe der Meere ein System von Organismen, deren Energiequelle nicht die Sonne, sondern – in Form von heissen, mineralhaltigen Quellen – die Erdwärme ist. Doch im Vergleich zum solar getriebenen Ökosystem sind diese andern Welten‘ quantitativ marginal.

[2] Das erklärt die Aufregung, als Ende 2011 eine Gruppe von Physikern am CERN meldeten, Messungen an Neutrinos hätten eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit ergeben, die grösser sei als die Lichtgeschwindigkeit. Einige Monate später fand das erstaunliche Phänomen eine natürliche Erklärung in einer defekten Kabelverbindung, welche für die Signalübertragung benützt wurde.

Dieter Imboden, seit 2005 Forschungsratspräsident des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), ist seit 1988 ordentlicher Professor für Umweltphysik im Departement für Umweltwissenschaften der ETHZ.
Nach dem Studium der theoretischen Physik in Berlin und Basel (1962-1967) promovierte er 1971 an der ETHZ mit einer Arbeit über theoretische Festkörperphysik.
An der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG), der Scripps Institution of Oceanography und weiteren US-Universitäten beschäftigte er sich physikalischen Prozessen in natürlichen Gewässern und habilitierte 1987 auf dem Gebiet der mathematischen Modellierung und der Umweltphysik. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Buchkapiteln verfasste er zusammen mit R.P. Schwarzenbach und P. M. Gschwend das zum Standardwerk gewordene Buch Environmental Organic Chemistry (1993 und 2003).
Von 2009 bis 2011 präsidiert Imboden die Vereinigung der Präsidenten der europäischen Forschungsförderungs-
organisationen (EUROHORCs).