Lichtimmissionen durch künstliche Beleuchtung nehmen seit Jahren weltweit exponentiell zu – und damit auch die negativen ökologischen Auswirkungen. Aufgrund einer umfassenden Literaturstudie wurden die biologischen und medizinischen Aspekte – nicht aber ästhetische oder technische Aspekte – zusammengefasst, die als Grundlage einer ökologischen Beurteilung künstlicher Beleuchtung dienen sollen.

 

Effekte von Licht auf Pflanzen, Tiere, Mensch und Lebensgemeinschaften

Alle Organismen, d.h. Bakterien, Algen, Pilze, Pflanzen, Tiere und natürlich auch der Mensch haben sich im Laufe der Evolution an den Tag-Nacht-Wechsel angepasst und verfügen über eine ausgeprägte physiologische Uhr („innere Uhr“). Diese wird hauptsächlich durch das Licht des natürlichen Tag-Nacht-Wechsels auf den 24-Stundenrhythmus (circadianer Rhythmus) eingestellt. Die meisten Tiere und Pflanzen sind zudem in der Lage, ihre innere Uhr an die sich ändernden Tageslängen (Photoperiode) innerhalb des Jahres anzupassen. Die Steuerung durch die Tageslänge ermöglicht eine Reihe ökologischer Vorteile. Es ist beispielsweise für Tiere von Vorteil, ihre Jungen bei günstigen Umweltbedingungen aufzuziehen, und für Pflanzen, nicht im Winter zu blühen.

Künstliche Beleuchtung kann sich auf verschiedene Pflanzen- und Tierarten unterschiedlich auswirken. Während die lichttoleranten Arten von künstlichem Nachtlicht profitieren, sich anpassen können oder nicht davon betroffen sind, kann es für lichtempfindliche Arten eine Reduktion ihrer Überlebensfähigkeit bedeuten oder bis zu einem Sterberisiko werden. Künstliche Beleuchtung kann den Lebensraum von Tierarten zerschneiden und ihren Aktionsradius und dadurch das Nahrungsangebot einschränken. Sie kann auch zur veränderten Konkurrenz und Räuber-Beute-Beziehung zwischen Arten führen. Durch diese Auswirkungen kann es zur schleichenden Artenverschiebung innerhalb einer Lebensgemeinschaft kommen. Bei bedrohten Arten muss ein Rückgang oder gar das Aussterben von kleinen, isolierten Populationen befürchtet werden, besonders dort, wo Lebensräume durch die städtische Entwicklung zerschnitten werden. Der Einfluss von künstlicher Beleuchtung kann sich auch auf die Synchronisation von biologischen Prozessen, die wichtig für das Überleben sind, auswirken. Störungen der lichtbedingten Zeitgeber von saisonalen Verhalten (z.B. Fortpflanzung, Vogelzug, Nahrungssuche) und assoziierter physiologischer Anpassungen (z.B. Thermoregulation) können negative Effekte verursachen, die auch zum Tod der Tiere führen können.

 

Pflanzen

Bei Pflanzen nehmen Photorezeptoren das Licht wahr und steuern dadurch Prozesse wie das Stellen der inneren Uhr, Samenkeimung, Stängelwachstum, Blattausdehnung, Übergang vom vegetativen in den Blühstatus, Blütenentwicklung, Fruchtentwicklung und Alterung. Neben dieser jahreszeitlichen Rhythmik lässt sich auch ein Tagesrhythmus, beispielsweise in der Atmungsaktivität und im zellulären und organismischen Stofftransport, erkennen. Die entscheidende Bedeutung von Belichtungszeitpunkt und -dauer für Pflanzen kann in Versuchen gezeigt werden: Im Dauerlicht (24 h) erlahmt das Photosynthesevermögen bei manchen Arten. Störlicht in der Mitte der Dunkelphase kann bei den einen Pflanzen die Blütenbildung verhindern, während bei anderen die optimale Blütenbildung anregt wird.

Bis heute wurden unzählige Untersuchungen ausgeführt, welche die Mechanismen sowie Wechselwirkungen von Lichtwahrnehmungen und Tagesrhythmen bei Pflanzen zum Thema haben. Genauere Untersuchungen über die Auswirkung der längeren Photoperiode durch künstliche Nachtbeleuchtung auf Pflanzen in natürlicher Umgebung fehlen jedoch.

 

Wirbellose

Bei Insekten steuert die Tageslänge (Photoperiode) neben der Tagesaktivität den Schlüpfrhythmus und ist Auslösefaktor für die Winterruhe. Bei den meisten Insekten weisen die Aktionsspektren für photoperiodische Reaktionen einen Wirkungsgipfel im Blaubereich des Lichts um 450 nm auf. Larven oder erwachsene Tiere vieler nachtaktiver Insektengruppen wie Schmetterlinge (Nachtfalter), Käfer, Mücken, Fliegen, Schnaken, Schwebefliegen, Köcherfliegen, Wespen, Wanzen, Grillen etc. werden von Licht angezogen und dadurch von ihrem natürlichen Lebensraum weggelockt. Anstatt Nahrung zu suchen, sich zu paaren oder Eier zu legen, verfliegen sie ihre Energievorräte an den Lampen und können dort zu Tode kommen. Besonders attraktiv für viele Insektenarten wirkt Licht im Ultraviolettbereich. Unter den angezogenen Insekten sind immer auch bedrohte Arten. Da nicht alle Insektenarten in gleichem Masse durch Licht angelockt werden, ist es möglich, dass es dadurch zur Artenverschiebung kommt.

Wasserflöhe wandern nur während dunklen Bedingungen in die Nähe der Wasseroberfläche, um Nahrung (Algen) aufzunehmen. Bei Seen in städtischer Umgebung, die 5-30-mal mehr Licht enthalten als Seen in ländlichen Gebieten, wandern sie weniger weit hoch. Spinnen zeigen unterschiedliches Verhalten auf Licht: Während die einen wie die Brückenkreuzspinne aktiv beleuchtete Orte aufsuchen, meiden andere das Licht. Bei Weinbergschnecken sind Aktivitätsdauer, Wachstum und Eiablage von der Lichtdauer abhängig. Bei mehr als 15 Stunden Licht sind die Schnecken zwar aktiv, wachsen aber weniger. Lange Tage regen die Eiablage der erwachsenen Tiere an.

Bei Glühwürmchen wird die innerartliche Kommunikation durch die nächtliche Beleuchtung empfindlich gestört. Die Weibchen wählen ihre Standorte tagsüber und locken nachts die Männchen mit Leuchten. Männchen meiden jedoch erhellte Bereiche, so dass Weibchen, die sich in diesen Bereichen aufhalten, ohne Fortpflanzungserfolg sterben.

 

Fische

Das Lichtregime stellt in der Fischzucht ein wichtiger ökonomischer Faktor dar. Forellen und Lachse laichen normalerweise einmal im Jahr. Mit einem entsprechenden Lichtregime laichen sie zusätzlich 6 Monate später nochmals. Die Geschlechtsreife der Weibchen kann gehemmt oder verzögert werden, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt Dauerlicht ausgesetzt werden.

Bestimmte Fische lassen sich von Licht anziehen (z.B. Hering, Lachs), während andere Licht meiden (z.B. Aal). Während die einen unter künstlicher Beleuchtung eine grössere Aktivität zeigen, sind andere weniger aktiv. Bestimmte Fische fressen vor allem in dunklen Nächten, nicht aber bei Vollmond oder künstlicher Beleuchtung. Nächtliche Beleuchtung kann durch den Anlockeffekt das Wanderverhalten und die Verteilung von Fischen verändern.

Fische lassen sich unter Laborbedingungen mit Einsatz von stroboskopischem Licht von bestimmten Stellen fernhalten. Möglicherweise kann blaues LED-Licht bei Fischen eine Stressreaktion verursachen.

 

Amphibien und Reptilien

Amphibien sind fast ausschliesslich nachtaktiv. Bei Beleuchtung erscheinen bestimmte Amphibien eine Stunde später aus ihrem Versteck und verlieren dadurch Zeit für die Nahrungssuche. Künstliche Nachtbeleuchtung blendet Frösche und Kröten, sodass sie Schwierigkeiten haben, Beute (Insekten) zu fangen. Andererseits werden sie von Licht angezogen, sobald sich ihre Augen daran gewöhnt haben, und die Beutejagd kann sich sogar einfacher gestalten, wenn sie die Nahrung durch die Beleuchtung sehen oder das Licht eine grosse Menge an Beute angezogen hat. Allerdings besteht dadurch die Gefahr, dass sie ihrerseits zur leichten Beute werden.

Künstliche Nachtbeleuchtung gefährdet die Fortpflanzung von Froscharten, die sich nur bei sehr geringen Lichtverhältnissen paaren oder bei hellem Licht nicht rufen und sich unter diesen Umständen auch nicht paaren können.

Bei Eidechsen wird die Bewegungsaktivität, die Tätigkeit der Keimdrüsen und der Farbwechsel allein durch ein lichtempfindliches Gehirnorgan, d.h. über die Schädeldecke, gesteuert. Bei künstlicher Beleuchtung muss deshalb mit schwer wiegenden Veränderungen gerechnet werden.

 

Vögel

Bei Vögeln reicht – wie bei Eidechsen – die Lichtdurchlässigkeit der Schädeldecke aus, um geringe Helligkeitsunterschiede zu registrieren und den Organismus zu beeinflussen. Mit Zusatzlicht kann die Geschlechtsreife bei Hühnern vorverschoben und die Tätigkeit der Keimdrüsen (Eiablage) verlängert werden. Andererseits nimmt die Spermaproduktion beim erwachsenen Hahn markant ab, wenn die längere Beleuchtung beibehalten wird. Künstliche Beleuchtung kann auch die Nestdichte und den Brutbeginn bei Wildvögeln beeinflussen.

Bei niedriger Wolkendecke, Dunst oder Nebel wird das Licht von Agglomerationen, Gebäuden oder andern baulichen Strukturen an den Wassertröpfchen reflektiert, was zu einem erleuchteten Areal, gewissermassen einer Lichtglocke oder einem Lichtdom, führt. Unter solchen Umständen können Tausende von nachts fliegenden Zugvögeln zu Tode kommen, da sie in niedrigerer Höhe ohne Orientierung nach den Sternen und der Fernorientierung durch Landmarken fliegen müssen und vom Licht angezogen werden. Die Vögel finden nicht mehr aus der Lichtglocke heraus und sterben an Erschöpfung oder kollidieren mit Strukturen oder anderen Vögeln, da sie immer zahlreicher werden. Sie verlieren wertvolle Energiereserven, weil sie Umwege fliegen oder einige Zeit in der Lichtsphäre gefangen sind. Diese Mechanismen sind von punktuellen Lichtquellen (z.B. Fernmeldetürmen, Wolkenkratzern), beleuchteten Arealen (z.B. Flugplätzen, Elektrizitätswerken etc.) wie auch von Lichtglocken über Agglomerationen aus vielen Ländern bekannt.

Beim Einfliegen in einen starken Lichtkegel (z.B. Skybeamer) zeigen nachts ziehende Vögel eine Schreckreaktion, indem sie von ihrer ursprünglichen Flugrichtung abweichen und ihre Fluggeschwindigkeit reduzieren.

Möglicherweise werden Zugvögel von grünem Licht weniger stark angezogen. Andererseits könnten die insektenfressenden Vogelarten von Kunstlichtsituationen profitieren, weil darin Insekten angezogen werden oder sie die Effizienz in der Futtersuche erhöhen können. Gleichzeitig erhöhen sie aber ihr eigenes Risiko erbeutet zu werden. Möglicherweise können je nach Habitat durch ein intensiviertes Futtersuchverhalten die Invertebratendichten langfristig beeinflusst werden.

 

Säugetiere

Nachtaktive Säugetiere reagieren auf grössere Lichtintensität mit einer Verlängerung des circadianen Rhythmus. Licht hat bei Säugetieren einen grossen Einfluss auf die Fortpflanzung: Bei der Tierproduktion (Pferde, Schafe, Ziegen) wird zusätzliches Licht, eventuell zusammen mit dem Hormon Melatonin, eingesetzt, um die sexuelle Aktivität auch entgegen der natürlichen Jahreszeit zu steuern sowie Spermaproduktion, Fruchtbarkeit und Jungenzahl zu erhöhen.

Künstlich beleuchtete Räume werden von bestimmten nachtaktiven Säugetieren gemieden. Fledermäuse fliegen später aus, wenn die Ausflugsöffnungen beleuchtet werden und keine alternativen Ausflugsmöglichkeiten bestehen. Den Tieren bleibt dadurch weniger Zeit für die Nahrungssuche. Bekannt sind Fälle, da angestammte Quartiere nach der Installation einer neuen Beleuchtung von den Fledermäusen verlassen wurden oder wo Lichteinsatz bei einem Stadtfest zu erhöhter Jungensterblichkeit führte. Durch nächtliche Beleuchtung können auch angestammte, lichtmeidende Fledermausarten durch (zugewanderte) synanthrope, lichttolerantere Arten verdrängt werden, weil diese effizienter jagen können.

Igel wählen zwar den kürzesten Weg von einer künstlichen Lichtquelle weg, sind aber irritiert und daher in ihrer Reaktion verzögert, möglicherweise aus Vorsicht, Furcht oder Ängstlichkeit, was bei Strassen gefährlich werden kann.

 

Menschen

Wie alle anderen Säugetiere reagiert auch der Mensch auf die Dunkel-Hell-Zyklen des Naturtages. Licht wird von einem Photopigment in den Zellen der Netzhaut des menschlichen Auges aufgenommen und als elektrische Impulse über Nervenbahnen zur physiologischen (inneren) Uhr im Zwischenhirn weitergeleitet. Dort wird in der Zirbeldrüse mit Höhepunkt zwischen 2 Uhr und 4 Uhr morgens in der Dunkelheit das Hormon Melatonin freigesetzt, welches den Schlaf-Wach-Rhythmus und andere zeitabhängige Rhythmen des Körpers wie beispielsweise die Produktion anderer Hormone steuert. Neben diesen Steuerfunktionen übernimmt Melatonin eine wichtige Rolle in der Immunabwehr und hat krebshemmende Wirkung.

Das Photopigment in der menschlichen Netzhaut reagiert hoch sensitiv auf Licht blauer Wellenlänge bereits bei einer Lichtstärke, die nicht einmal dem Vollmond entspricht. Wird die Dunkelheit durch künstliches Licht unterbrochen, wird die natürliche Produktion von Melatonin gestoppt. Bei Menschen, die über längere Zeit Schicht arbeiten, können entsprechend gesundheitliche Probleme auftreten wie gestörte physiologische Rhythmen (Hormonproduktion, Zellteilung), Schlafprobleme, chronische Müdigkeit, Herz-Kreislaufprobleme, Krebserkrankungen.

Auch die Lichtverhältnisse im Schlafzimmer könnten ein potentieller Risikofaktor für Brustkrebs sein. Der Spiegel eines weiteren Hormons, Cortisol, das im Immunsystem, aber auch im Metabolismus und in Muskeln und im Hirn eine wichtige Rolle spielt, kann durch helles Licht reduziert werden.

 

LED-Technik

Leuchtdioden, sogenannte LED, werden momentan als Zukunftstechnologie in der Beleuchtung, vor allem auch in der Strassenbeleuchtung, betrachtet. Erste, noch ungenügende Praxisversuche geben Hinweise darauf, dass Insekten markant weniger stark von kaltweissen und warmweissen LED angezogen werden als von herkömmlichen Lampentypen.

Fabio Bontadina, geboren 1963 in Ponto Valentino / TI, ist Wildtierbiologe aus Zürich, Studium an der Universität Zürich mit dem Hauptfach Biologie und den Nebenfächern Informatik und Umweltlehre. Er arbeitet bei SWILD, einer unabhängigen Forschungs- und Beratungsgemeinschaft von BiologInnen in den Bereichen Siedlungsökologie, Wildtierforschung, Naturschutz und Kommunikation. Er hat mit einer Arbeit zu den Schutzgrundlagen für gefährdete Fledermausarten promoviert und ist vielfältig im Artenschutz engagiert.