APPELT: Auf dem Lichtsektor sind gegenwärtig starke Veränderungen zu beobachten. Die LED-Technologie bietet ganz neue Möglichkeiten für den Umgang mit Licht. Durch die Abschaffung der Glühbirne wurde erstmals seit langem wieder ein allgemeines Nachdenken über die Bedeutung von Licht provoziert. Die Filmindustrie steht momentan auch vor neuen Herausforderungen. Wie verändert sich die Situation des Kinos im Zeitalter des digitial Cinema?


HORWARTH: Das Kino befindet sich zur Zeit in einem Wandel zum Postkinematografischen.


WIMMER: Postkinematografisch ist das Digitale, die Veränderung der Vorführsituation?


HORWARTH: Die Veränderung von allem. Kennt Ihr das Buch von Bolter/Grusin, „Remediation“? Das geht viele Jahrhunderte zurück und beschreibt, wie die jeweils neuen Medien nie als ganz neu, ganz anders auftreten, obwohl sie es oft sind. Wie sie sich, um sich durchsetzen zu können, in ihren ersten Erscheinungsformen sehr nahe an das halten, was die Leute als Konvention oder als Standard eingespeichert haben. Drum versucht die Industrie – wenn man jetzt ans aktuelle Kinogeschehen denkt – das digitale Kino möglichst so aussehen zu lassen wie das analoge. Es ist eine Zwei-Schienen- Strategie. Die zweite Schiene ist die digitale 3-D-Technologie – noch spektakulärer, noch immersiver als alles andere. Und im Gegensatz zu den 50er Jahren scheint das jetzt, im Sinn der Industrie, halbwegs zu klappen .


WIMMER: Geht einem aber trotzdem schnell auf den Geist.


HORWARTH: Viele meinen, das war vor allem ein Werkzeug, um die digitale Technologie in den Kinos durchzusetzen. Es wird nicht unbedingt so lange so wichtig bleiben, wie es jetzt – aus ökonomischer Sicht – erscheint. Aber die Realismusvorstellungen, wie ein ordentliches Bild auf der Leinwand auszusehen hat – diese Art von Konventionen –, da werden keine großen Unterschiede angestrebt, sondern eher, dass die Leute, die jetzt ins Multiplex gehen und eine digitale Projektion sehen, möglichst gar keinen Unterschied bemerken. Wenn man das digitale Medium ernst nehmen würde, dann müsste man auf die Suche danach gehen, was in diesem Medium wirklich drinnen steckt, was das Eigene dieses Mediums ist, und das wäre etwas vollkommen anderes. Es hätte z.B. mit Interaktivität usw. zu tun.


WIMMER: Die Kunst, das muss die Kunst wieder machen.


HORWARTH: In der Kunst, in der Avantgarde, schauen natürlich Werke von Leuten, die gezielt mit Computerabstürzen arbeiten oder die mit den inneren Verhältnissen des Mediums, vollkommen anders aus als Filme von Michael Snow oder Duchamp oder Kubelka, die sich darüber Gedanken gemacht haben, was die Parameter im Medium Film sind.

Um 1900 fand auch eine „Remediation“ statt, als die verschiedenen kommerziellen Unterhaltungs- und Spieltechnologien des 19. Jahrhunderts – vom Theater bis zu den optischen Spielzeugen – ins Medium Unterhaltungskino transformiert worden sind.


WIMMER: Literatur, alle Erzählformen der Literatur hat der Film aufgenommen. Im linearen wie im nichtlinearen Erzählen – Raffungen, Sprünge, Rückblenden etc.


HORWARTH: Was den realistischen Roman des 19. Jahrhunderts betrifft, sind wir immer noch nicht viel weiter, nicht wirklich… In der Entwicklung der Idee von Filmkunst, d.h. in der Theoriebildung der 20er Jahre, waren natürlich alle darauf aus, zu bestimmen, worin sich der Film vom Theater unterscheidet. Epstein, Arnheim, Balazs usw. Aber die kommerzielle Branche selbst hat sich zunächst einmal 20 Jahre lang in den meisten ihrer fiktionalen Formen stark am Bühnenraum und den diesbezüglichen Gewohnheiten der Zuschauer orientiert. Deren Unterhaltungs- wie Kulturvorstellungen waren primär durch bühnenhafte Veranstaltungen, wie Varieté, Schaubuden, Oper, Theater usw. geprägt, sowohl im Bürgertum, also auch in der Massenkultur. D.h. diese „Remediation“ fand relativ langsam statt, und das wird jetzt wahrscheinlich auch der Fall sein.


APPELT: Die Lichtindustrie verhält sich momentan ähnlich im Umgang mit der neuen LED-Technologie. Die Konvention alter Gewohnheiten wird zuerst bedient. Man versucht alte Leuchten und Leuchtmittel sowohl im Design als auch in der Lichtwirkung so ident wie möglich zu ersetzen. Da stecken natürlich kommerzielle Gründe dahinter. Gleichzeitig ist eine allgemeine Überforderung zu beobachten, weil diese neuen Technologien sehr komplex sind und die wirklich guten Konzepte nur von erfahrenen oder kreativen Leuten gefunden werden können. Also setzt man erst mal auf Altbewährtes, so wie der frühe Film auf das Theater. Hat sich dieser denn beim Licht auch am Theater orientiert?


HORWARTH: Im Moment der Öffentlichkeit meinst Du?


APPELT: Nein, im Moment des Drehens.


HORWARTH: Nein, am Anfang waren die Emulsionen sehr langsam und da wurde die Lichtsituation danach geschaffen, was die Maschinerie halt brauchte. Drum waren die Tageslichtateliers sehr berühmt. In der Neubaugasse z.B. war eines der ersten Filmateliers in Wien – im Dachgeschoß. Sie haben sich vielleicht an den Räumen der bildenden Kunst orientiert. Im großen Saal im Künstlerhaus z.B. kann man den direkten Tageslichteintritt von der Decke her immer noch schön sehen. Vielleicht kann man die Filmateliers der ersten Jahre mit den Großateliers von Makart und Konsorten vergleichen...

Es gibt von einen schönen Film von 1896, von R.W. Paul, das ist einer der frühesten fiktionalen Filme – ein Liebeshandel samt Kuss, eineinhalb Minuten, zwei Kostümierte. Die haben das auf dem Dach eines Londoner Theaters gedreht, weil sie sonst nicht genug Licht gehabt hätten.

Erst als sich die Scheinwerfertechnologie rasant verbessert hat, ist der Studiodreh zu so einem hoch ausdifferenzierten Ding geworden. Man kennt ja die tollen Setfotos aus dem Hollywood der 20er Jahre oder von Babelsberg, von der UFA. Das war dann schon eine Art Geheimwissenschaft. Da entstehen die großen Studios mit ihren jeweiligen Facharbeiterkompetenzen für Kamera, Licht, Maske, Architektur… Das sind sehr faszinierende Workshop-Situationen, wo 40, 50 Personen zusammen an einem Aufnahmemoment arbeiten.


WIMMER: Da sind sie draufgekommen, dass man mit Licht den Raum macht.


HORWARTH: Ja, man denkt an Schwarz/Weiß und vor allem an die zwanziger Jahre und an die Leute wie Schüfftan oder die Kameraleute, mit denen Murnau und Sternberg gearbeitet haben. Das waren die ersten, die ob ihrer Lichtgestaltungen die Rolle von Künstlern einnahmen.

Wenn man sich andererseits Leute wie Méliès ansieht, der kam von anderswo her. Er hatte zuvor schon sein Zaubertheater und kam drauf, dass das neue Medium Film unglaubliche Möglichkeiten für seine Art von Tricks bietet. Aber er inszenierte in schlichten, frontalen Bühnensituationen – im Tageslicht. Da musste einfach ein Maximum an Licht her, um im Zuge seiner Stopptricks die Lichtverhältnisse stabil zu halten. Das hat sicher viel Ausgefuchstheit gebraucht, war aber nicht jenes „Zaubern mit Licht“, wie es die Kamerakünstler der 20er Jahre betrieben haben.


WIMMER: Es ist immer um die Befreiung von der Abhängigkeit vom Tageslicht gegangen. Einerseits durch die Optik, andererseits durch die Verbesserung des Materials.


HORWARTH: Da steckt natürlich auch gleichzeitig die ansteigende Artifizialität, die Künstlichkeit drinnen.


WIMMER: Kontrolle auch.


HORWARTH: Gegen diese Bewegung wenden sich alle die, die dann auf stärkeren Realismus drängen. Nahezu jede innovative Bewegung in der Filmgeschichte hat wiederum „raus aus dem Studio“ gesagt. „Diese Studio-Blase, dieser abgeschlossene Produktionsort gibt uns von der Welt nicht das, was wir suchen“. Und insofern ist, glaube ich, das in den letzten Dekaden wiedererwachte Interesse am frühen Kino auch ein Wunsch nach einer Fülle von Realität, die einem das im Studio konstruierte Ereignis nicht bietet. Z.B. die wunderbaren „Phantom rides“, also frühe Filme, die die modernen Transportmittel zur Dynamisierung und zum Einfangen einer Realitätsfülle nützen: Einer stellt sich mit der Kamera einfach auf eine Tramway , die am Wiener Ring entlang fährt – und filmt beim Fahren mit. Das im Studio konstruierte Ereignis hingegen erzeugt eine andere, vollständig gestaltete, parallele Realität Film. Es ist immer eine Art Pendelbewegung zwischen den beiden. Die gesamte Filmgeschichte besteht aus dieser Pendelbewegung.


WIMMER: Ein interessantes Moment ist dieser Film von Kubrick, „Barry Lyndon“. Ich finde das interessant, weil er da versucht hat, sich vom Einsatz von Kunstlicht zu emanzipieren, weil es schon ein besseres Filmmaterial gab. Und dann machte er einen historischen Film, der im 18. Jahrhundert spielt, also einen Kostümfilm.


HORWARTH: Da ist die Pendelbewegung in ein und demselben Film. Er geht zum Kerzenlicht zurück, in den Szenen steht tatsächliches Kerzenlicht, gleichzeitig kann dieses Kerzenlicht in seinem Film und auf der Leinwand nur deshalb erscheinen, weil anderswo der technologische Fortschritt so enorm war, nämlich bei der Rezeptivität der Emulsion, dass sich drauf überhaupt was abzeichnet. Es hätte ja jeder schon mit Kerzen authentisch arbeiten können, nur man hätte ohne die neuen Möglichkeiten der Filmchemie nichts gesehen. Das ist so ein Wechselspiel im technologischen Fortschritt, der es erlaubt, die „primitive“, vortechnologische Authentizität einer Situation im 18. Jahrhundert auf neuestem technischen Entwicklungsniveau wiederzugeben.  Die Dialektik von „wirklich“ und „künstlich“ steckt hier in ein und demselben Beispiel drinnen.


WIMMER: Und aus dieser Authentizität eine höchst artifizielle Angelegenheit, ein Kunstwerk zu gestalten – das ist für mich immer spannend. Und das eine nicht mit dem anderen zu verwechseln, ist genau das, was Kubrick meisterhaft konnte.


HORWARTH: Leute, die heute im Digital Cinema arbeiten, können, glaube ich, die Unterschiede am besten benennen – was macht das Licht im Medium Film bzw. im digitalen Medium. Wie wird durch Licht ein Bewegtbild sichtbar – das ist bei den beiden Medien komplett anders: Im Beam des digitalen Kinos gibt es das konstant „aufgedrehte“ Licht, die Zeilen des Bildes werden ohne Unterbrechung aufgebaut. Nie ist das ganze Bild da, aber ständig ist ein Bild da. Während beim Film ja das Unterbrecherprinzip das Entscheidende ist – also Licht und Nichtlicht, immer abwechselnd. Ich hab vor Kurzem in der Cinémathèque Française einen Vortrag gehalten, bei einem Symposion, wo es eben um diesen Medienwechsel ging. In der Mitte des Vortrags habe ich drei kurze Filme gespielt. Einen davon haben wir vor ein paar Jahren angekauft, der heißt „1/48“, also „Eine Achtundvierzigstel Sekunde“. Er stammt von einem mexikanischen Künstler. Der Film ist gewissermaßen einen Kader lang; Man sieht Schwarzfilm, dann den einzigen belichteten Kader, und dann wieder Schwarzfilm. Auf dem Kader sieht man eine Filmklappe, auf der der Name des Künstlers steht – Jorge Lorenzo Flores Garza. Das ist der eine Kader. Wenn der Film läuft, sieht man die meiste Zeit schwarz, aber man sieht: hier läuft ein Film, der eben schwarz ist. Und dann gibt es für die Zeit, die ein Kader braucht, Licht – und das ist nicht, wie man immer sagt, eine 1/24 Sekunde, sondern es ist nur 1/48 Sekunde. 24 Bilder pro Sekunde heißt ja beim Film, dass es auch 24 x pro Sekunde schwarz ist – Nicht-Bild. Insofern ist dieser eine Kader für die Dauer einer 1/48 Sekunde anwesend. Bevor wir den bei uns einmal gezeigt haben, haben die Leute gesagt, „da sieht man ja nix“. Weit gefehlt. Natürlich sieht man was, und zwar sehr intensiv. Dieser Moment des einen Bilds ist unglaublich stark – und erzeugt einen richtigen kleinen Schock. Darin wird auch ein Prinzip des Filmischen dokumentiert.


WIMMER: Das Vordigitale.


HORWARTH: Genau (lacht), aus Sicht des Digitalen. Das prädigitale Medium. Man hat früher Film gesagt, bald wird man von der „prädigitalen Ära“ sprechen.


WIMMER: Was macht das im Gehirn des Zuschauers, dass das umgestellt wird, von dieser Abfolge der Einzelbilder zu diesen Zeilen, der Permanenz der Zeilengeschichte?


HORWARTH: Da gibt es sehr wenig wissenschaftliche Literatur. Es gibt dazu viele Streitigkeiten zwischen „pro-digitalen“ und „pro-filmischen“ Menschen, die das aber zumindest technisch benennen. Man kann die technischen Unterschiede ganz faktisch beschreiben, über die kommt man nicht hinweg, auch wenn das Bild subjektiv sehr ähnlich oder ident aussieht.  Über die physiologischen und wahrnehmungsmäßigen Effekte und Unterschiede gibt es leider, soweit ich weiß, relativ wenige Studien. Es scheint mir zumindest logisch zu sein, dass eine ganz andere Präsenz des Bildes und des Gesehenen im Gehirn entsteht,  wenn es – wie eben im analogen Kino – die halbe Zeit, in der ich etwas betrachte, finster ist. Wenn also, umgekehrt gesagt, nur während der halben Zeit meiner Betrachtung tatsächlich Bilder bzw. Licht auf mein Auge fallen, und allein die „Trägheit des Auges“ den Eindruck einer andauernden Anwesenheit von Bild und Licht erzeugt.


HORWARTH: Auch der ganze Flickereffekt hat damit zu tun. Es gibt ja viele Werke im Avantgardefilm, die bewusst damit arbeiten. Oder viele Kinos haben nur eine Zweiflügelblende, was bei einer Filmgeschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde ausreichend ist; wenn man da aber z.B. einen frühen Film aus dem 1900er Jahren in seiner adäquaten Geschwindigkeit spielt, mit nur 16 Bildern pro Sekunde, dann erlebt man einen starken Flickereffekt, ein Flackern des Bildes. Man muss davon ausgehen, dass in vielen Kinos in der Frühzeit das durchaus Teil der Aufführung war, dass man dieses Flackern hatte; dass dieses intermittierende Prinzip also besonders spürbar war. Das hat man beim digitalen Medium überhaupt nicht. Man hat beim Film eben dieses Verhältnis zwischen einer vollkommen dem fotografischen Medium entsprechenden Bild-Bild-Bild-Bild-Kette und der Maschinerie, die dieses serielle fotografische Objekt in den Eindruck kontinuierlicher Bewegung verwandelt, durch das Prinzip des Intermittierens zwischen Licht und Nichtlicht.


WIMMER: Kennst Du Leute aus der Wahrnehmungspsychologie, die sich mit diesem Thema beschäftigen.


HORWARTH: Leider nein, überhaupt nicht. Ich glaube nicht, dass zu Filmerfahrung und Filmwahrnehmung viel geforscht wurde. Ich weiß es nicht.


WIMMER: Wenn du in die Disko gehst und dich dem Stroboskop-Effekt aussetzt, ist das ja irgendwie auch mit dem Lustzentrum verbunden. Dann machst du mit dir oder mit deinem Körper etwas. Oder dein Körper macht etwas mit dir, eine bestimmte Zeit lang.


HORWARTH: Man müsste es, glaube ich, auch mit auditiven oder musikalischen Wahrnehmungen vergleichen; dass man also dem Beat oder dem Rhythmus ausgesetzt ist, und damit einer Form von Zeitlichkeit, die noch zusätzlich durch die Dynamik von sehr leise bis sehr laut überlagert ist. Das könnten ja durchaus verwandte Formen sein, wie der Körper damit umgeht.

Ich möchte auch zwei österreichische Kameraleute erwähnen, die man zu all dem befragen könnte: Christian Berger, der sich mit Bartenbach viel mit diesen Themen auseinandergesetzt hat, und Martin Gschlacht, der sich  sehr viel Gedanken darüber macht, was das genau ist, das man mittels Licht erzeugt.


APPELT: Christian Berger habe ich kürzlich getroffen, weil ich mich für das Reflektorensystem interessiere, das er mit Bartenbach für das Filmlicht entwickelt hat. Er hat viel Erfahrung mit Licht, weiß wirklich viel darüber. Er kommt eben aus dieser Lichtecke von Bartenbach, hat auch die Bartenbach-Akademie mitbegründet, ist aber dann doch zum Film gewechselt. Warum ich glaube, dass die Kooperation mit Leuten aus dem Filmbereich für mein Projekt so wichtig ist – weil die Leute, die das Filmlicht machen, das künstliche Licht genauso wie das natürliche Licht reinszenieren und versuchen, das so real wie möglich darzustellen. D.h. sie haben die allerbeste Erfahrung, mit Räumen umzugehen. Ich möchte nochmal auf die Kerze bei Kubrick zurückkommen. Das Beispiel des realen Kerzenlichts im Film, ohne den Einsatz von Kunstlicht. Ist so etwas auch heute noch ein Thema beim Film?


HORWARTH: Ja, Haneke wollte für „Das weiße Band“ genau dorthin. Er wollte, dass Christian Berger in diesen Keuschen, diesen düsteren Lebensräumen der Dienstboten im frühen 20. Jahrhundert, nur mit echtem Tageslicht oder eben mit Kerzenlicht, also ohne Scheinwerfer arbeitet. Das ist nochmal ein anderes Verhältnis als bei „Barry Lyndon“, da Berger und Haneke auf Farbfilm gedreht haben, dann aber die digitale Postproduktion und die Prints in Schwarz/Weiß gemacht haben. Heute ist ja der Postproduktionsprozess mehr oder weniger komplett digital, da haben sie dann die Farbe rausgedreht und ein Schwarz/Weiß erzeugt, das natürlich ein ganz anderes ist als jenes in den 20er Jahren. Auch die Cohen Brüder haben in „The Man Who Wasn’t Where“ so gearbeitet. Es gibt ein paar solcher Beispiele moderner Schwarz/Weiß-Filme, die auf Farbmaterial gedreht wurden, weil das viel empfindlicher ist. Auf Schwarz/Weiß-Material hätte Haneke bestimmte Sachen wie diese Kerzenlichtgeschichten nicht machen können. Er hat Christian Berger sicher bis zum Letzten gefordert, was eben die Vermeidung nicht-diegetischer künstlicher Beleuchtung betrifft.


WIMMER: Meiner Erinnerung nach ist ihm schon einiges an Schwarz gelungen. Ich glaube, das Problem ist ja wirklich, Schwarz zu erzeugen. Beim Runterfahren der Farbe.


HORWARTH: Was wiederum auch das Problem beim Digitalen ist. Das digitale Schwarz und das filmische Schwarz sind ganz verschieden. Eine der berühmtesten digitalen Restaurierungen der letzten Jahre, die in Cannes mit Alain Delon und Claudia Cardinale groß präsentiert wurde, ist „Il Gattopardo“. 20th century Fox hat den Film, das Negativ in 8K gescannt, also in extrem hoher Auflösung. Im aktuellen Digital Cinema ist es üblich, in 2K zu projizieren. Was die „Tiefe“ des Scannes betrifft, müsste man also annehmen, dass ein 8K-Scan Dinge hervorbringt, die keine traditionelle Filmkopie je hatte. Nur bringt es natürlich auch Phänomene hervor, bei denen man nicht weiß, ob das noch in irgendeiner Weise dem Film entspricht. Die Erfahrung war enorm, einerseits dieses durchgesäuberte Bild, anderseits der Eindruck, dass die Gesichtstöne alle ins Orange tendierten. Und natürlich sahen wir keine 8K-Projektion, die gibt es nämlich noch nicht, sondern eine 2K- oder 4K-Projektion, also ein „heruntergerechnetes“ File. Das Verhältnis zwischen Scan, nachbearbeitetem File und Projektion ist noch viel prekärer als beim Film. Du kannst den „besten“ Scan haben, aber wenn das Projektionsgerät nicht ordentlich kalibriert ist, ist die ganze Mühe von zwei Jahren Restaurierungsarbeit dahin. Auch das Schwarz war ein Problem für mich bei dieser Vorstellung. Es war der Effekt „schwarzer Löcher“. Die schwarzen Fracks von Delon oder Burt Lancaster beim Tanzen haben nicht ausgesehen wie Texturen, die sich im Raum und in der Zeit bewegen, sondern wenn Schwarz da war, war es so vollständig und einheitlich schwarz wie ein „Nichts“; es kam einem fast so vor wie Bildteile, die einfach fehlen…


WIMMER: Also unräumlich, enträumlicht…


HORWARTH: Genau. Sehr seltsam. Als wären die Feinheiten verloren gegangen, was ja theoretisch nicht passieren dürfte bei diesem guten Scan – im Gegenteil. Es muss also wohl mit der Projektion zu tun haben.


APPELT: Herbert spricht vom Unräumlichen, also dass das Räumliche verloren geht oder sich verschiebt. Das kann genauso mit dem Weiß passieren. Wenn wir schon vom Schwarz sprechen – gibt es denn Filme, wo ihr speziell über das Dunkel sprechen würdet? Wir sprechen ja immer vom Licht, in den 20er Jahren war das Dunkel vorherrschend in den Szenen mit Licht, und das Licht war das Besondere und ist hervorgestochen. Gibt es das auch in der umgekehrten Variante?


HORWARTH: Nicht isoliert. Ich würde sagen, das Dunkel ist immer nur in Relation vorhanden. Beim Film Noir und in der expressiven Fotografie wird das Dunkel prominent, aber es kann überhaupt nur prominent werden, weil an bestimmten Stellen das Licht seine Anwesenheit mit Rufzeichen bekundet. Also der Schlagschatten, oder das fast Finstere, wird dann als finster wahrnehmbar, wenn sich irgendwo ein Lichtstreifen durchzieht.


WIMMER: Jetzt gibt es ja dieses Zwangsdunkel. Oder in der Zeit, wie sie angefangen haben, digital zu bearbeiten, dass das rundherum alles finster sein muss, weil sie in der Postproduktion irgendwas reinbauen, so dass man die Nähte nicht sieht. Sehr nervend ist das mittlerweile, weil es schon fast ein Stilmittel geworden ist, damit meine ich: die Nähte sind die Bearbeitungsspuren bzw. Amalgamierspuren im Material, wo das Gefilmte und das postproduktiv Geschaffene zusammentrifft, und ich habe den Verdacht, dass das, was im Anfang der Postproduktion von Blockbustern technisch notwendig war, um den Realismusanspruch der phantastischen Szenen nicht aufzuheben – also die Illusion zu brechen, dass eben dieses jetzt von Regisseuren als bequemes Stilmittel erkannt wurde und weiterhin unbarmherzig eingesetzt wird, um die banalsten (Action)Sequenzen durch dramatisierende Dunkelbereiche in die Anmutung von Spannung und Bedeutung „hinaufzuschattieren“; wenn ich das wahrnehme, fühle ich mich erst recht einem Zwangsdunkel ausgesetzt.


HORWARTH: Das sind schon zwei sehr unterschiedliche Dinge. Da könnten uns meine Kollegen, die im Filmmuseum mit digitalen Restaurierungsmethoden arbeiten, einiges erzählen – was nämlich bei dieser Übertragung so alles passiert. Wie jede Restaurierungsarbeit ist das auch ein ethisch komplexer Vorgang. Wie muss ich arbeiten, dass sich bei dem, was am Schluss wieder rauskommt, bestimmte Charakteristika des gescannten Films zumindest als Simulation erhalten? Wie verhindere ich, dass sich nicht gewisse digitale Artefakte einschleichen. Wie kann man den sogenannten „digital noise“ vermeiden? Sie erzählen allerdings immer über Farbe, Bit-Tiefe, Korn und innere Struktur des Bildes, weniger über das Licht als solches... Obwohl es am Ende natürlich wieder – wie beim analogen Kopieren – um die sogenannte „Lichtbestimmung“, das Grading geht. In allen Schritten dieses Prozesses sind ständig neue Überlegungen und Entscheidungen zu treffen. Nimmt man z.B. ein Wetgate oder nicht. Da wird beim Scannen der Film durch das Gate geführt und es gibt zusätzlich eine Flüssigkeit, um schon beim Scannen Schrammen in der Emulsion auszugleichen. Das kann aber auch zu optischen Problemen, nämlich anderen Lichtbrechungen, führen.


APPELT: Ich hatte mal eine Zeitlang gegen Lichtquellen fotografiert, oder auch einfach nur Hell/Dunkel-Kontraste aufgenommen. Beim Betrachten dieser Bilder hatte das Auge Schwierigkeiten, sich einzustellen. Es entstand eine Art Blendeffekt. Das ist ein ganz anderer Umgang mit Licht, als wenn das Licht nur das Dargestellte beleuchtet. Ich könnte mir vorstellen, dass es gerade im Film reizvoll ist, das Licht wie aus dem Bild raustreten zu lassen, den Zuschauer für Momente oder ganze Filme lang zu beleuchten, zu blenden.


WIMMER: Mir fällt da Sugimoto ein. Diese Langzeitbelichtungen in Kinos, Art Deco-Kinos und Drive-Ins. Es gibt zwei Serien, wo er die Kamera ins Kino stellt und eine Filmlänge lang belichtet. Ein unglaubliches Weiß kommt dabei heraus.


HORWARTH: Die Addition der zwei Stunden Filmlaufzeit, während der Shutter der Fotokamera durchgängig offen war – da wird dann Weiß draus. Gleichzeitig ist die Schärfe und Plastizität der Umgebung, dieser Art Deco-Bögen in den großen Kinos z.B., enorm. Es ist eine unglaubliche Auflösung in Grauwerte… Aber das eigentliche Ereignis, das da stattfand, während er fotografierte, nämlich die Projektion eines Films, ist zu Weiß ausgelöscht.


WIMMER: Oder addiert. Eigentlich ist es dann wie bei Newton – Weiß ist ja die Addition aller Farben.


HORWARTH: Das ist natürlich ein schönes Beispiel dafür, wo das Licht oder die Beleuchtung selber in den Bildraum gerückt wird. Das wird im modernistischen Kanon häufig gebraucht, bei Godard z.B., wo du auf einmal den Scheinwerfer siehst oder wo die Kamera soweit zurückweicht, dass im Bild das Faktum seines Beleuchtet-worden-Seins sichtbar wird, weil die Gerätschaft sichtbar wird. Dann gibt es die Fälle, wo Licht in die Kamera oder ins Publikum gestrahlt wird und man so eine Blendung verspürt. Bei allen möglichen Leuchtturmszenen z.B. dreht sich das Licht und fetzt dir in rhythmischer Folge direkt in die Augen. Im Avantgardefilm ist das ohnehin ein Thema, ob abstrakt oder nicht. Bei Kubelkas „Arnulf Rainer“ sowieso. Aber auch in handgemalten Filmen von Brakhage. Da gibt es z.B. Filme, die er in der Kathedrale von Chartres gedreht hat, mit Fokus auf den bemalten Fenstern; und so ähnlich hat er dann Filme gemacht, die auch wie bemalte Fenster wirken, nur hat er  auf transparentem Film aquarelliert. Das ergibt ein unglaubliches Geschwirr an Farben und Licht, das auf der Leinwand zu sehen ist. Man wird mit nichts anderem konfrontiert als mit diesem Spiel der Farben und des reinen Projektorlichts.


WIMMER: Oder von Benning, die Himmel, die Wolken – „Ten Skies“.


HORWARTH: Zehn Einstellungen, je zehn Minuten, zehn verschiedene Himmel. Man sieht keine Erde, man sieht einmal ein Flugzeug oder zweimal, oder Vögel, und viele Wolken natürlich. Und ein sehr schönes, konstruiertes Sounddesign, also nicht authentischer Location-Ton. Da setzt er Elemente zusammen, aber was man sieht, ist nur Himmel. Ich muss da immer auch an James Turrell denken. Eine meiner schönsten Kunsterfahrungen war einmal im PS1 – dieser Raum, den Turrell dort gemacht hat. Er hat einfach an der Decke ein Quadrat ausgeschnitten. Du gehst da rein und es ist kalt. Wenn es draußen kalt ist, ist es dort drinnen auch kalt. Und du denkst „Wo bin ich?“. Dann schaust du da rauf und schaust dieses Quadrat an und denkst an Malewitsch, der Raum ist finster und draußen ist es, so wie es halt dort über dem Gebäude gerade ist. Und das war noch dazu an einem Spätnachmittag im Winter. Da hast du diesen „rosy-fingered dawn“, also so ein rosa-oranges langsam abschwächendes Tageslicht. Und ich glaube, Regina und ich waren eine Stunde da drin, rundherum Bänke in diesem viereckigen Raum, sind nur da gesessen, haben immer wieder rausgeschaut, ein bisserl gefröstelt.


APPELT: Kann der Film so etwas ersetzen?


HORWARTH: So etwas nicht, weil bei dieser Arbeit von Turrell die Kunst wirklich mit der Realität in Kontakt tritt. Im Sinne der Repräsentation kann das der Film natürlich schon ersetzen. Aber wir sind uns alle im Klaren, dass wir nicht den wirklichen Himmel betrachten. Wir bleiben in jenem Modus des Filmischen, der uns Abbilder gibt, was wir beim Expanded Cinema nicht tun. Ich finde, Anthony McCall geht beim Film tendenziell diesen Schritt, den Turrell vielleicht in Bezug auf Skulptur oder Malerei geht. Seine Arbeit „Line Describing a Cone“ von 1974 war in der Ausstellung X-Screen im MUMOK 2004 ausgestellt. Das ist eines der größten Werke der Filmgeschichte für mich und auch eines der spannendsten Werke in der Geschichte der Begegnungen von bildender Kunst und Film. „Line Describing a Cone“ ist ein Filmstreifen, der 30 Minuten lang das Entstehen eines weißen Kreises auf schwarzem Hintergrund zeigt. Es fängt mit einem Lichtpunkt an und ganz langsam beginnt daraus ein Kreis zu werden, innerhalb von 30 Minuten ist der Kreis auf der Bildfläche komplett Diese Fläche befindet sich an einem Ende des Raums, am anderen Ende ist die Projektionskabine samt 16-mm-Filmprojektor, der diesen Film 30 Minuten lang bzw. im Loop projiziert. Dazwischen gibt es ein Rauchmittel. Früher in den New Yorker Lofts hat das nur durch das Rauchen der Anwesenden schon funktioniert. Im MUMOK, wo natürlich nicht geraucht werden darf, oder in anderen Museen machen sie es, indem sie Trockeneis oder Ähnliches im Raum verbreiten. Was dabei entsteht, ist eine unfassbare und gleichzeitig simple Lichtskulptur, ein Cone. Die Spitze des Konus ist der Projektor und das Licht bildet einen Kegel quer durch den Raum. Und du gehst durch diesen Kegel durch. Du kannst dich ins Innere dieses Kegels begeben und mit den Fingern durch diesen Rauch sehen, wie du diesen Lichtkreis brichst. Dann gehst du wieder zurück und siehst andere Menschen, wie sie sich in diesem sehr massiv wirkenden Kegel bewegen, der offenbar nicht massiv ist, weil sonst könnte man nicht einfach so durchgehen. Ich erwähne das deshalb, weil da für mich, zumindest als Betrachter, dieser Turrell-Effekt annähernd spürbar wird. Ich sehe einen Film, dessen illusionäres Ergebnis einfach der langsam sich vollendende Kreis auf der Bildfläche ist, dessen zusätzliches Ergebnis aber ein Wirklichkeitsergebnis ist, nämlich dass der Weg vom Projektionsstandort zur Bildfläche durch eine virtuelle oder eine aus Licht erzeugte Skulptur beschrieben wird, die Teil meines Raums ist und mit dieser Skulptur interagiere ich, wenn ich in dem Raum bin.


APPELT: Das habe ich ganz ähnlich erlebt, als ich die Arbeit im MUMOK gesehen habe. Man hält sich sehr lange auf in diesem Raum, freiwillig, so wie bei Turrell auch. Bei beiden Arbeiten gibt es dieses physische Erleben im Raum. Man beobachtet das Licht bei sich selber. Man versucht, es zu spüren, zu fühlen. Der Rauch macht es ja dann dreidimensional sichtbar, macht es zur Skulptur, zum Kegel. Du stellst dich erst rein in diesen Kreis, gehst aber wieder raus aus diesem Kreis, dann stellen sich andere rein und die fängst du an zu beobachten. Wenn sich solche Momente ergeben, gehört es für mich zu den spannendsten Dingen, die Licht anbietet. Eine Situation, wo man diese verschiedenen Formen von Erfahrung machen kann.


HORWARTH: Ich würde Anthony McCall gerne einmal kennen lernen. Er hat mehrere solcher Arbeiten gemacht, und in den letzten zehn Jahren ist er im kunsttheoretischen Diskurs wieder sehr präsent geworden. Ich glaube dass er jetzt auch mit digitalem Medium arbeitet. Er ist ein faszinierender Künstler.

„Arnulf Rainer“ von Kubelka ist wieder in anderer Weise spannend… Da fällt mir noch ein Bild ein – Martina Kudlácek hat einen vierstündigen Film über Kubelka fertiggestellt, an dem sie vier Jahre lang gearbeitet hat und der jetzt in Rotterdam gezeigt wird. Da hat sie eine Situation gefilmt, die ich auch immer toll fand. Nämlich, wenn der Film „Arnulf Rainer“ läuft, wie spiegelt und spielt sich der Film im Gesicht, auf den Körpern der im Publikum Anwesenden ab. Und sie filmt Kubelka selber, wie er da sitzt in der 3. Reihe oder so. Da er seine Filme nicht digital reproduziert haben will, kommen sie auch in dem Film von Martina Kudlácek nicht vor. Das ist natürlich aberwitzig und zugleich konsequent: vier Stunden Kubelka, ohne dass man seine Filme „so richtig“ sieht. Aber sie hat alle möglichen Weisen gefunden, diese Filme doch spürbar und verstehbar zu machen. Und bei „Arnulf Rainer“ ist das eben die Idee, dass man diese sieben Minuten lang das Geknattere oder die Stille des Tons hört und dabei Kubelkas Gesicht sieht, wie er seinem eigenen Film entgegen lächelt – und wie sich das Finster und Hell seines Films, also diese spezifische und rasche Abfolge von Licht und Nichtlicht, im Künstler selber spiegelt. Das Werk wird also indirekt sehr räumlich fühlbar. Auch wenn man den Film „richtig“ sieht und auf die Leinwand schaut, merkt man, dass es um mehr geht als nur um dieses beleuchtete Rechteck, auf das Kubelka fokussiert. Man nimmt bei „Arnulf Rainer“ immer auch sehr stark den Raum wahr und tritt sozusagen ein bisschen zurück. Es ist auch sehr schön, im Saal herumzugehen, wenn der Film läuft. Einfach herumzuwandern, vorne, hinten, auch ganz nah an der Leinwand, wenn der Film da vor sich hinflackert siebeneinhalb Minuten lang. Das ist schon ein Film! Es gibt Leute, die sagen, Kubelkas Entwicklung der Idee des „Unsichtbaren Kinos“ ist überhaupt nur verständlich auf der Grundlage seiner eigenen filmischen Arbeit und speziell des „Arnulf Rainer“-Films. Das Kino des Filmmuseums wäre dann gewissermaßen das Kino für diesen einen Film…. Zum Glück ist es natürlich auch ein Kino für viele andere Filme. Aber es gibt sicher einen Konnex zwischen Kubelkas filmischem Denken als Macher von Filmen und seinem Denken über Kino, darüber, welches der ideale Raum für das Medium Film ist.


WIMMER: Ich habe den Film an einem sehr unidealen Ort gesehen, nämlich im Keller der Galerie Kalb, wie sie noch in der Grünangergasse war. Es ist ein langgezogener Keller mit Wiener Gewölbe und irgendwann wollten sie Kubelka projizieren. Und er hat es auch wollen, anscheinend, weil sonst hätten sie es nicht dürfen. Einmal habe ich ihn mir so angeschaut, im Keller, auf dem Film, und einmal mit dem Rücken zum Film. Das ist natürlich in so einer Art Wiener Keller ein sehr merkwürdiges Erlebnis.


HORWARTH: Kubelka ist da überhaupt nicht dagegen, diese Filme auch in solchen Räumen zu zeigen. Solange sie als Film projiziert werden, ist er ganz happy damit. Besser so als im besten Multiplex der Welt eine digitale Vorführung einer Abtastung dieses Films zu zeigen, weil das ein extremer Medienwechsel ist.


APPELT: Er will die Konfrontation mit dem Medium Film?


HORWARTH: Das war auch beim ersten „Unsichtbaren Kino“ in New York so. Da gab es sogar diese Scheuklappen links und rechts, in Kopfhöhe. Wichtig war aber, dass die eben nur in Kopfhöhe waren, weil man sollte nicht in einer abgeschlossenen Zelle sitzen, sondern nur die Sicht ganz auf den Film fokussieren. Gleichzeitig sollte die körperliche Verbindung zu allen anderen im Raum erhalten bleiben. Der Saal selbst wurde von sämtlichem Schmuck und allen Ablenkungen befreit. Keine Dekoration! Das ist der klassisch modernistische Zugang: Alles, was ans Theater erinnert, alles, was an diese bürgerliche Repräsentationskultur erinnert, wird rausgeräumt. „Unsichtbar“ heißt in diesem Fall also, dass alles außer dem Film auf der Leinwand tendenziell unsichtbar sein soll, nicht ins Wahrnehmungsfeld dringen soll. Und dass zugleich das Bewusstsein erhalten bleibt, dass wir in einem gemeinsamen Raum sind und einem projizierten Geschehen folgen. Das ist wahrscheinlich immer so ein Balanceakt. Das mit diesen Scheuklappen hat sich spätestens dann erledigt, als der Ton nicht mehr Mono war, weil dann wird es absurd. Wenn der Ton von verschiedenen Lautsprechern und auch von der Seite kommt, dann kann ich ihn nicht abschotten, denn dann werde dem Ton, wie ihn der Filmemacher gestaltet hat, nicht gerecht werden.


APPELT: Gerold Tagwerker hat ein Video mit Filmausschnitten von Godards „Alphaville“ gemacht, bei dem er sich auf die Szenen konzentriert, bei denen der Protagonist mit der Kamera ins Publikum flasht, also immer wenn dieser ein Foto macht, direkt in Richtung der Filmkamera blitzt. Diese Szenen wechseln sich ab mit den Szenen, in denen unterschiedliche Stiegen rauf- oder runtergegangen werden. Tagwerker hat die Szenen aus „Alphaville“ in Bezug zu seiner eigenen Arbeit gesetzt.


HORWARTH: Godard dreht die Kamera oft in Richtung des Lichts. In „Le mépris“ gibt es auch einen Blick in die Projektionskabine. Da sitzen sie in diesem Vorführraum, Fritz Lang undsoweiter, und da wird immer wieder der Vorführer gefilmt, der Blick geht aus dem Kinosaal in dieses Vorführfenster, von wo uns der Projektor sein Licht entgegenwirft. Ich glaube, das kommt auch in „Numéro deux“ vor. Auch in nicht-modernistischen Filmen hat man häufig solche Situationen; zumindest in Filmen, die sich mit Kino beschäftigen.

Kunsthistorisch wird oft eine Verbindung geschaffen wird zwischen der romantischen Malerei und den Lichtkonzepten der deutschen Regisseure in den 20er Jahren. Ich weiß nicht, ob sich z.B. Murnau selber zum Faust-Film in eine solche Richtung geäußert hat, aber ich glaube, dass da sehr auf Caspar David Friedrich und ähnliche Genealogien zurückgegangen wurde. Das ist jetzt natürlich eine vollkommen unbefußnotete, intuitive Vermutung von mir.


APPELT: Victor Erice orientiert sich in seinem Film aus den frühen 70er Jahren „The Spirit of The Beehive“ an den Bildern von Vermeer und Zurbarán. Von beiden übernimmt er kompositorische Elemente und auch das Licht. Als Künstlerin arbeite ich viel mit Licht, oft so, dass das Licht spürbar ist, also physisch spürbar. Und ich stelle mir vor, wenn man Beleuchtungsszenarien für den Film macht, bei denen man sich an diesen alten Malereien orientiert, dass es eine unglaublich leidenschaftliche Art ist, mit Raum, mit Material und Licht umzugehen, der man sich dann nicht entziehen kann.


HORWARTH: Dieses skulpturale, dreidimensionale Moment ist vor Ort sicher wichtig. Wenn ich z.B. an die Fotografie denke, die ich von Dir erworben habe, da ist eine Art Film Noir-Element drin, oder ein „Edward-Hopper-Touch“. Es ist sicher ein filmisches Licht, eine filmische Situation, die durch die Betonung der Straßenlampen von dir erzeugt wird. Man denkt da eher an historische Epochen, 20er- oder 40er-Jahre Kino etwa, als an Gegenwärtiges.


WIMMER: Weil alle Leute, die ins Kino gehen, nicht nur ins Kino gehen und alle Leute, die Filme machen, nicht nur Filme machen, sondern mit dem ganzen Bildgedächtnis korrelieren, aus dem wir bestehen.


HORWARTH: Es ist trotzdem, finde ich, auffällig, dass wir in der bildenden Kunst oder in der Fotografie diese Dinge mehr beachten. Die Straße in Siegruns Foto ist eine Gegenwartstraße, sie signalisiert nicht Historizität. Es wird hier nicht eine „Quaint Little Town“ inszeniert, sondern wir sind eindeutig in der Gegenwart. Aber das Licht lässt einen an historische Referenzen denken. Das sind dann plötzlich Kleinstadtstraßen in einem amerikanischen Film Noir von 1946.

Alexander Horwath, geboren 1964 in Wien, seit 2002 Direktor des Österreichischen Filmmuseums. Er leitete von 1992 bis 1997 die Viennale und kuratierte das Filmprogramm
der Documenta 12 (2007).
Zu seinen Publikationen als Autor
und Herausgeber zählen u.a. Bücher über Michael Haneke (1991, 1998),
das amerikanische Kino der 60er und 70er Jahre (1994, 1995, 2004), Avantgardefilm (1995, 2005, 2010), Josef von Sternberg (2007) und
Film Curatorship (2008).

herbert j. wimmer, geboren 1951 in melk, (schriftsteller, autor zahlreicher bücher: gedichte, prosa, dramatik, experimentelle literatur, essays)
lebt seit 1971 in wien, seit 1973 als schriftsteller.
von 1973 bis zu ihrem tod 2009 freundschaft und lebenspartnerschaft mit elfriede gerstl.
studium der deutschen philologie, theaterwissenschaft, publizistik- und kommunikationswissenschaft und vergleichende sozialgeschichte der literatur. 1997 mag. phil.
realisationen radiofoner werke (hörspiele und kunstradio-produktionen) für rundfunkanstalten; literatur- und filmkritische schriften. fotografische arbeiten, zeichnungen, tuschen, collagen, lineamente.
seit 1998 das gestisch-expressive zeichnungs-projekt: THE INFINITE DRAWING, seit 2006 das text-, foto- und zeichnungsprojekt THE INFINITE PUZZLE.
ab jänner 2013 wird im literaturhaus wien die ausstellung des text- und fotoprojekts ROTOPOST – ROTOSPOTS – LICHT UND LITERATUR AUFNAHMEN gezeigt.